Durch die Französischlehrerin Frau Herbig inspiriert, bemühte ich mich im Frühjahr 2017, einen Schüleraustausch mit einem französischen Schüler zu organisieren. Dabei bin ich auf das Austauschprogramm des Deutsch- Französischen Jugendwerk gestoßen. Schirmherrin dieses Programmes ist Brigitte Sauzay. Frau Sauzay arbeitete als Dolmetscherin für die drei französischen Präsidenten Georges Pompidou, Valéry Giscard d’Estaing und François Mitterrand. Dieses Austauschprogramm ist sehr empfehlenswert. Bei diesem Programm verbringt man bis zu drei Monate in dem jeweiligen fremden Land. Ein großer Pluspunkt ist, dass es auf Gegenseitigkeit funktioniert. Es entstehen keine zusätzlichen Kosten. Die Familien sorgen in der Zeit des Austausches für ihren Gastschüler. Das gleicht sich bei dem Gegenbesuch dann aus. Die eigenen Fahrtkosten können unter bestimmten Voraussetzungen erstattet werden. Gut ist auch, dass der Zeitpunkt relativ frei bestimmbar ist. Die Franzosen bevorzugen es jedoch eher, im Frühjahr zu uns nach Deutschland zu kommen. Das Ganze funktioniert sehr einfach: Nachdem ich auf der Website von Brigitte Sauzay einen kleinen Text über mich verfasst hatte, in dem ich mich beschrieben habe und nach einem französischen Austauschpartner fragte und meine E-Mail Adresse hinterlegte, bekam ich sogleich am ersten Abend mehrere Antworten von französischen Jungen. Schließlich entschied mich unter den mindestens 20 Bewerbungen für Gautier. Er war der erste, der mir geschrieben hatte. Ich entschied mich für ihn, weil seine Nachrichten sehr nett klangen und auch seine Familie sehr um mich bemüht wirkte. Mich reizte außerdem, das Leben im Internat kennenzulernen.
Nachdem Gautier von Juni bis August 2017 seine 10 Wochen bei mir verbracht hatte, brach ich im September zu Gautier nach Frankreich auf. Gautier wohnt zusammen mit seiner Familie in Talus St. Prix, einem Dorf auf dem Lande in der Region Champagne. Insgesamt hat das Dorf nur 100 Einwohner und liegt ca. eine Stunde von der nächsten Großstadt Reims und ca. 2 Std. von Paris entfernt. Gautiers Eltern Clémence und Cyril sind von Beruf Winzer und bauen ihren eigenen Wein für die Champagnerproduktion an. Gautier hat außerdem noch zwei Brüder: Amaury, 13 Jahre und Anselme, 10 Jahre alt.
Während der Woche lebte ich zusammen mit Gautier und seinem Bruder Amaury in dem Internat St. Joseph in Reims. Montagmorgens sind wir in die Schule gefahren, die dann erst um 9:15 Uhr begann. Am Freitag endet der Unterricht eine Stunde früher, also „schon“ um 16:30 Uhr. Wir sind dann von Gautiers Mutter abgeholt worden.
In der Schule hatte ich bis um halb sechs Unterricht, 1,5 Stunden Mittagspause und abends 1 Stunde Zeit, um mein Handy zu nutzen. Ansonsten galt ein strenges Handyverbot für die Mittelstufenschüler. Außerdem durfte man das Schulgelände nicht verlassen. Meine Schule ist eine Privatschule, und viele interne Schüler kommen aus Paris. Des Weiteren gibt es den „salle de permanence“, einen Aufenthaltsraum für Schüler zum Arbeiten. Im College, also der Mittelstufe, hat man täglich mindestens eine Stunde „perm“, um seine Hausaugaben zu erledigen. In dieser Stunde hat man auch die Möglichkeit, in die Schulbibliothek, das CDI, zu gehen. Dort kann man am Computer arbeiten oder lesen. In der Mittagspause essen fast alle Schüler in der Schulkantine. Mittwochnachmittags hat man keinen Unterricht, man kann sich selbst eine Freizeitbeschäftigung suchen oder Angebote der Schule wahrnehmen. In dieser Zeit habe ich mit Gautier in einer Ruder-AG auf dem Kanal in Reims gerudert.
Freitagabend, wenn wir aus dem Internat nach Hause kamen, saßen wir meistens 2,5 Stunden am Tisch und haben gegessen und über die Woche geredet. In Frankreich isst man morgens nur ein Stück Baguette oder Brioche mit einer Tasse Kaffee, Kakao oder Tee. Mittags wird dann warm gegessen. Es gibt immer eine kleine Vorspeise, als Hauptgericht gibt es zuhause oft verschiedene Fleischsorten mit Kartoffelpüree oder anderen Beilagen und Soßen. Danach gibt es ein Stück Käse mit Baguette, wenn man möchte. Dann gibt es noch einen Nachtisch, z.B. einfachen Schokoladenpudding oder Kuchen. Abends isst man dann noch einmal warm. Wenn man Besuch empfängt, gibt es vorweg (wohl hauptsächlich in der Champagne) einen Apéritif, ein Glas Champagner oder Wein mit Salzgebäck. An den Wochenenden haben wir viel unternommen. Wir haben z.B. das Stade de France in Paris besichtigt, die Altstadt von Troyes angesehen oder haben Fahrradtouren in der Umgebung unternommen. Wir waren in Épernay, der Hauptstadt des Champagners, und haben dort große Champagnerhäuser wie z.B. Moet et Chandon besucht. In meinen Herbstferien, die ich in Frankreich mit Gautiers Familie verbracht habe, waren wir eine Woche in den Vogesen. Gautiers Familie hat dort ein kleines Chalet in den Bergen.
Insgesamt kann ich zu meinem Austausch sagen, dass ich sehr viel gelernt habe. Natürlich habe ich mein Französisch verbessert, aber gerade mir hat das Internatsleben sehr geholfen, selbständiger zu werden. Die Lebensphilosophie der Franzosen ist, glaube ich, sich selbst so wenig wie möglich zu stressen. Ich kann jedem einen Austausch nach Frankreich empfehlen. Ich habe die Zeit dort sehr genossen, auch wenn ich vielleicht anfangs Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung in das Schulsystem hatte. Gautier und ich und auch unsere Eltern sind gute Freunde geworden, so dass ich in den nächsten Sommerferien zwei Wochen mit ihm an den Atlantik zum Surfen fahre und davor noch eine weitere Woche mit seiner Familie inklusive Großeltern und Tante, Onkel und Cousins verbringen darf. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich auch schon etliche Male mit Gautier, meiner französischen Familie und meinen neu gewonnenen Freunden in der Schule telefoniert.
Infos zu Austauschmöglichkeiten erhaltet ihr unter:
www.dfjw.org/kleinanzeigen.html
oder über die FranzösischlehrerInnen
Martin B., E1.d